Edith Steins Eltern, Auguste Courant und Siegfried Stein, stammen beide aus Oberschlesien. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1871 lebten sie in Gleiwitz, wo Siegfrieds Mutter einen Holzhandel betrieb. Doch die Zusammenarbeit verlief unglücklich, sodass das Paar sich 1881 für einen Umzug nach Lublinitz entschied, in Augustes Heimat, wo sie ein eigenes Holzgeschäft gründeten. Das neue Unternehmen erfüllte jedoch nicht die Erwartungen der Steins und sie mussten finanziell von Augustes Familie unterstützt werden. Auf der Suche nach besseren Bedingungen zogen sie im Jahr 1890 in die Metropole Niederschlesiens. Breslau war damals eine sich dynamisch entwickelnde Stadt, deren wirtschaftliche Konjunktur viele Unternehmer anzog. Zum Zeitpunkt des Umzugs, im Frühjahr 1890, zählte die Familie bereits acht Personen. In Gleiwitz und Lublinitz kamen folgende sechs Kinder zur Welt: Paul, Else, Arno, Frieda, Rosa und Erna (es gab zu diesem Zeitpunkt noch vier Geschwister, die jedoch im Säuglingsalter verstarben).
Edith Stein wurde am 12.10.1891, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur (Versöhnungstag), als jüngstes Kind der Familie in Breslau geboren. Dieses Fest ist eines der wichtigsten im jüdischen Festkalender. Edith sollte oft darauf zurückkommen, beispielsweise in ihrer Erzählung über die eigene Familie „Aus dem Leben einer jüdischen Familie“. Neben zahlreichen Beschreibungen der Verwandten finden wir auch eine Charakterisierung ihrer selbst: „(…) Ich war klein und zart, trotz aller Pflege immer blass, die damals blonden Haare (später sind sie nachgedunkelt) trug ich meist offen, nur mit einem Band zusammengehalten. So hielt man nach dem Äusseren nach Erna meist für älter als mich. Freilich, sobald ich zu reden anfing, staunte man, was für eine Naseweisheit der „Knirps“ entfaltete. (…) In meinem ersten Lebensjahr war ich von einer quecksilbrigen Lebhaftigkeit, immer in Bewegung, übersprudelnd von drolligen Einfällen, keck und naseweis, dabei unbezähmbar eigenwillig und zornig, wenn etwas gegen meinen Willen ging.“
Edith Stein erlebte eine wohlbehütete und familiäre Kindheit. Die Familienmitglieder und Verwandten umsorgten und verwöhnten sie. Die zahlreichen Cousinen und Cousins waren wunderbare Gefährten für ihre endlosen Spiele. Überschattet wurde diese Atmosphäre durch den frühen Tod von Siegfreid Stein, der im Juli 1893 an einem Sonnenstich verstarb. Edith war zu diesem Zeitpunkt knapp zwei Jahre alt. Von da an führte Auguste Stein, bei nur eingeschränkter Unterstützung ihrer Familie, das Unternehmen allein. Dank ihres Arbeitseifers und ihrer Begabung entwickelte sich das Unternehmen, trotz anfänglicher Schwierigkeiten, prächtig. Edith Stein erinnert sich in ihrer Autobiografie, wie eine Bekannte von Auguste folgende Worte in der Straßenbahn aufschnappt: „(…) Wissen sie wer hier der tüchtigste Kaufmann in der ganzen Branche ist? Das ist die Frau Stein.“
Auguste Stein gelang es allein den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern und zudem den beiden jüngsten Töchtern eine grundlegende Hochschulbildung zu ermöglichen. Aus einer kleinen Mietswohnung zogen sie im weiteren Verlauf in größere Wohnungen, bis es Auguste möglich war eine schöne Villa zu erwerben, in der die ganze, mehrere Generationen umfassende Familie ein Zuhause fand.
Edith Steins Schulzeit begann mit ihrem sechsten Geburtstag, also ein Jahr früher als es eigentlich üblich war. Das ersehnte Geschenk verdankte sie ihrer ältesten Schwester Else, welche die Erlaubnis des Schuldirektors eingeholt hatte. Edith war eine begabte und fleißige Schülerin und hob sich vom Rest der Klasse ab. Deshalb verwunderte alle der Umstand, als sie mit 14 Jahren weitere Schulbildung verweigerte. In ihrer Autobiografie erklärt sie: „(…) Aber ich glaube, das eigenlich Ausschlaggebende war damals und jetzt ein gesunder Instinkt, der mir sagte, dass ich nun lange genug auf der Schulbank gesessen hätte und mal etwas anderes brauchte.“ Die folgenden zehn Monate verbrachte sie bei ihrer Schwester Else und deren Ehemann Max Gordon in Hamburg. Wie sie selbst berichtet, hörte sie dort bewusst mit dem Beten auf und entfernte sich vom Glauben.
Nachdem sie nach Breslau zurückgekehrt war, bot sich ihr die Gelegenheit ihre Schwester Erna, die bereits Schülerin der Unterprima war, bei ihrer Vorbereitung für die Schulstunden zu beobachten. Mehrfach half sie ihr bei Hausaufgaben. In Edith wuchs der Gedanke heran, erneut zur Schule zu gehen. Anfangs glaubte sie nicht daran, dass sie in der Lage wäre, das Versäumte nachzuholen. Doch dank privater Unterrichtseinheiten und großem persönlichen Eifer gelang es ihr bereits 1908 die Zulassung zum Gymansium zu erhalten. Die Abiturprüfung bestand sie im Marz 1911 mit einem ausgezeichneten Ergebnis, wonach sie bereits Ende April ihr Studium an der Universität Breslau begann. Sie wählte Vorlesungen in Germanistik, Geschichte, Psychologie und Philosophie. Es war für Edith eine von Arbeit erfüllte Zeit. Sie ging nicht nur ausschliesslich dem Studium nach, sie wirkte zudem in Studentenorganisationen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Reformen im Bildungswesen herbeizuführen oder sich mit dem Frauenwahlrecht beschäftigten.
Anfänglich plante sie ihre Doktorarbeit thematisch im Bereich der Psychologie anzusiedeln. Sie änderte jedoch ihre Meinung, als sie zum ersten Mal mit der Philosophie Edmund Husserls, der Phänomenologie, in Berührung kam. Sie war von dieser Disziplin begeistert sowie von der in ihr ruhenden Möglichkeit der intellektuellen Weiterentwicklung. Edmund Husserl war zu dieser Zeit Professor an der Universität in Göttingen. Edith Stein entschied, dass sie ein Semester die Vorlesungen beim „Philosoph unserer Zeit“, wie sie selbst Husserl nannte, besuchen werde. Im April 1913 fuhr sie nach Göttingen. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie dort zwei Jahre verbringen würde. In ihrer Autobiografie gesteht sie: „(…) je näher das Semesterende kam, desto unmöglicher war mir der Gedanke, dass ich nun fortgehen und nicht wiederkommen sollte. Diese Monate, die hinter mir lagen, waren doch keine Episode, sondern der Anfang eines neuen Lebensabschnittes.“ Das Seminar bei Professor Husserl bestätigte ihr, dass das Gebiet der Phänomenologie eben jenes war, welches sie vertiefen wollte. Sie beschloss an der Universität in Göttingen zu bleiben, dort das Staatsexamen abzulegen und die Doktorarbeit bei Edmund Husserls zu schreiben. Die Familie hatte nichts gegen diese Entscheidung einzuwenden. Der Professor akzeptierte auch ihre Idee eine Betrachtung zum „Problem der Einfühlung“ zu schreiben. Allerdings knüpfte er seine Erlaubnis, eine so anspruchsvolle Aufgabe in Angriff nehmen zu können, an ein vorher bestandenes Staatsexamen. Somit begann für Edith Stein eine umfassende Vorbereitungszeit, welcher ein kurzer Aufenthalt in Breslau vorausging. Diesen Breslauer Aufenthalt nutzte sie außerdem für eine Ausbildung als Krankenschwester im Allerheiligen Hospital. Im Januar 1915 bestand sie das Staatsexamen in philosophischer Propädeutik, Geschichte und Deutsch. In dieser Zeit dauerte der Erste Weltkrieg bereits mehr als ein halbes Jahr. Direkt nach der bestanden Prüfung erhielt sie eine Nachricht, dass man Krankenschwestern im Seuchenlazarett des Roten Kreuzes in Mährisch-Weißkirchen brauche. Sie leistete dort ein halbes Jahr lang einen anstrengenden und entbehrungsreichen Sanitätsdienst. Im September 1915 kehrte sie nach Breslau zurück, wo sie wieder in Ruhe an ihrer Doktorarbeit arbeitete. Eine Reihe von zufälligen Begebenheiten führten dazu, dass sie Lehrerin für Latein an der Viktoriaschule in Breslau wurde (dem heutigen Allgemeinbildenden Lyzeum Nr. 1 in der Strasse Poniatowskiego). Zu dieser Zeit arbeitete sie an ihrer Doktorarbeit weiter. Im Jahre 1916 erwarb Edith Stein den Doktortitel mit dem Ergebnis summa cum laude, d.h. mit höchstem Lob. Die beiden folgenden Jahre verbrachte sie als Assistentin von Edmund Husserl an der Universität in Freiburg im Breisgau. Im November 1918 kehrte sie nach Breslau zurück, engagierte sich sozial wie politisch und hielt zu Hause Lehreinheiten zur Philosophie ab. In den folgenden Jahren bemühte sie sich zudem vergeblich um eine Habilitation. Das damalige deutsche Gesetz war den Frauen in dieser Sache nicht zugeneigt.
Als sie im August 1921 ihre Ferien bei ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius in Bad Bergzabern verbrachte, geschahen Ereignisse, die in signifikanter Weise ihr Leben veränderten. Dies geschah durch eine Lektüre. Seit ihrer Studienzeit in Göttingen traf Edith Stein mit Menschen zusammen, die vom christlichen Glauben begeister waren, doch erst nach der Lektüre Die Lebensgeschichte der Heiligen Teresia von Avila entschied sie sich endgültig dafür zum christlichen Glauben zu konvertieren. Am 1.01.1922 ließ sie sich in Bad Bergzabern taufen. Diese Entscheidung wurde von der Mutter, die eine gläubige Jüdin war und regelmäßig die Synagoge besuchte, nicht befürwortet. Später jedoch, nachdem sie die positiven geistigen Veränderungen ihrer Tochter erlebt hatte, akzeptierte sie die Entscheidung. Die folgenden zehn Jahre arbeitete sie in Speyer als Lehrerin an einem Mädchengymnaisum der Dominikanerinnen. Dort ging sie auch Übersetzungstätigkeiten nach und veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten. Sie hielt zudem Vorträge bei zahlreichen Kongressen sowie im Rahmen von pädagogischen Vorlesungen in Deutschland und im Ausland. 1931 nahm sie eine Dozentenstelle am Institut für Pädagogik in Münster an. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurde sie auf Grund des sogenannten „Gesetztes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ suspendiert.
Ein großer Wunsch Edith Steins, seit dem Augenblick ihrer Taufe im Jahr 1922, war der Eintritt in den Orden der Karmelitinnen. Mit der endgültigen Entschiedung hielt sie sich jedoch wegen ihrer Mutter zurück. Sie fürchtete, dass sie dieser großen Kummer bereiten wurde. Zudem rieten ihr ihre geistlichen Mentoren von diesem Schritt ab, indem sie argumentierten, sie sei „in der Welt“ mehr vonnöten. Doch in dem Augenblick, als die Nationalsozialisten ihr die Arbeitsmöglichkeit entzogen, stand ihr nichts mehr im Wege, um ihre lange vorbereiteten Pläne in die Tat umzusetzen. 1933, während eines Aufenthaltes in Breslau, teilte sie ihre Entscheidung ihren Nächsten mit. Es fehlte nicht an Fragen und Sorgen seitens der Familie, speziell der Mutter, der die Entscheidung ihrer Tochter schwer zu schaffen machte. Die Atmosphäre im Familienhaus verschlechterte sich merklich. Als Edith am 13. Oktober, ein Tag nach ihrem Geburtstag, Breslau verließ, begleiteten sie ihre Schwestern Erna und Rosa zum Bahnhof.
Am 14.10.1933 trat sie dem Orden der Karmelitinnen in Köln bei. Sechs Monate vergingen bis zu ihrer feierlichen Einkleidung, bei der sie den Schwesternamen Teresia Benedicta vom Kreuz (Teresia Benedicta a Cruce) annahm. Im Kloster arbeitete sie weiter an wissenschaftlichen Aufgaben. Sie beendete ihr wichtiges Werk Endliches und ewiges Sein. Rosa Stein, die ebenfalls zum katholischen Glauben konvertiert war, schloss sich der Schwester im Karmel in Köln an, wurde selbst jedoch keine Nonne. 1938 legte Teresia Benedicta vom Kreuz das ewige Gelübde ab. Nach den Ereignissen der Reichskristallnacht im November 1938 konnten sich Menschen jüdischer Abstammung in Deutschland nicht mehr länger sicher fühlen. Man entschied sich, die beiden Schwestern in das Kloster der Karmelitinnen im holländischen Echt zu verlegen, was in der Silvesternacht des Jahres 1938 geschah. Dort arbeitete Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz an dem Werk Kreuzeswissenschaft, welches sich mit der Person des Heiligen Johannes vom Kreuz, dem Reformator der Karmelitenorden, beschäftigt. Sie konnte das Werk nicht mehr beenden, da sie am 2.08. 1942 zusammen mit ihrer Schwester Rosa durch die Gestapo verhaftet wurde. Über die Zwischenlager in Amersfoort und Westerbork, wurden die beiden Schwestern nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wurden sie, wahrscheinlich am 9.08.1942, in der Gaskammer ermordet. Auf diese Weise endete das Leben einer außergewohnlichen Frau, Judin, Philosophin und katholischen Nonne.
Quelle: Spuren in Breslau, Ein illustrierter Stadtführer durch Breslau, Danuta Mrozowska, Halina Okólska, Towarzystwo im. Edyty Stein, Wrocław 2006, S. 5-10.