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Siegfried Stein und seine Vorfahren

Siegfrieds Großvater war Joseph Stein, ein jüdischer Lehrer, der aus Nordostpreußen, möglicherweise aus Danzig, in die Gegend von Gleiwitz (heute: Gliwice) kam.

Siegfrieds Vater, Samuel Joseph Stein, wurde 1788 in Langendorf im Kreis Gleiwitz (heute: Wielowieś) geboren. Samuel Joseph war dreimal verheiratet (1812, 1827 und 1842). Mit seiner ersten Frau Sara hatte er acht oder neun Kinder. Mit der zweiten Frau Hannel sechs. Mit seiner dritten Frau, ebenfalls Hannel, hatte er acht Kinder. Siegfried war das zweite Kind dieser letzten Frau. Alle Kinder aus der dritten Ehe wurden in Woiska (heute: Wojska) geboren und dort ließ sich die Familie nieder.

Siegfried Stein kam am 11. September 1844 zur Welt, mehr als dreißig Jahre nach dem Preußischen Judenedikt, das Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, am 11. März 1812 erlassen hatte. Es gewährte den Juden gleiche Rechte, die volle preußische Staatsbürgerschaft und hob bisherige Beschränkungen auf, unter der Bedingung, dass sie neue, dauerhafte Nachnamen annahmen (bis dahin hatten Juden Vatersnamen getragen). Außerdem mussten sie Deutsch oder eine andere in Preußen gesprochene Sprache sprechen und das deutsche oder lateinische Alphabet verwenden. Sie durften ihren Wohnsitz und ihren Beruf frei wählen, mit Ausnahme öffentlicher Ämter und dem Militärdienst.

Nach dem Emanzipationsedikt der preußischen Regierung begannen die Orte Tost (heute: Toszek), Ujest (heute: Ujazd), Peiskretscham (heute: Pyskowice) und Gleiwitz Juden aus der Gemeinde Langendorf aufzunehmen, und so verteilten sich die Familien der Juden aus Langendorf über ganz Schlesien. Die Juden in Langendorf bildeten nie ein Ghetto. Die Gemeinde wuchs schnell und war lange Zeit die Muttergemeinde für alle Juden, die sich in den umliegenden Orten niederließen. Um die vielfältigen Beziehungen zu den Bewohnern des Dorfes und der Umgebung aufrechtzuerhalten, mussten sie die lokale Sprache, d. h. Polnisch bzw. den oberschlesischen Dialekt, sprechen.

Samuel und seine Familie besuchten die Synagoge in Langendorf, dort wurde Siegfried am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten und erhielt seinen Namen. Siegfried kam, wie alle Kinder der jüdischen Gemeinde, die die öffentliche Schule in Langendorf besuchten, mit anderen schulpflichtigen Kindern aus der ganzen Gegend in Kontakt.

Samuel Joseph war im Handel tätig – eine sehr traditionelle Beschäftigung für Juden dieser Gegend. Nach seinem Umzug nach Woiska pachtete Samuel auch ein Gasthaus. Nach und nach baute er sein Geschäft aus und am Ende seines Lebens war er ein auf Holz spezialisierter Geschäftsmann. Aus den Erinnerungen von Julie, der jüngeren Schwester von Siegfried, wissen wir, dass ihr Vater 1850 ein Grundstück mit Haus in Gleiwitz kaufte. Es befand sich in der Nähe des Bahnhofs und er baute dort ein modernes Dampfsägewerk. Drei Jahre später verlor Samuel Joseph sein Augenlicht. Zu diesem Zeitpunkt war er 65 Jahre alt. Nach Samuels Tod im Jahr 1860 wurde das Sägewerk von seiner Frau weitergeführt, sie beschäftigte auch ihren Sohn Siegfried. Siegfried, ältester Sohn aus dritter Ehe, nahm eine wichtige Rolle in der Familie ein, nachdem Samuel blind geworden war. Es war nun an ihm das Gebet beim ersten Teil des Seder-Mahls zu leiten und die Haggada zu lesen.

Am ersten Tag nach seinem 13. Geburtstag erlebte Siegfried wie jeder jüdische Junge seine Bar Mitzwa („Sohn des Gebots“), bei der ein jüdischer Junge nach dem Gesetz des Moses volljährig wird. Sie wurde in der alten Synagoge in Gleiwitz vollzogen und vielleicht half er schon damals seinem Vater im Sägewerk.

Samuel Stein starb am 1. September 1860 in Polnisch Neudorf (heute: Polska Nowa Wieś) an einem Schlaganfall. Er erlebte die Fertigstellung der neuen Synagoge nicht mehr mit. Samuel Stein wurde im selben Ort auf dem Friedhof an der Friedhofsstraße begraben, der sich direkt neben dem Bahnhof befand. Nach seinem Tod führten seine Frau und ihr Sohn das Geschäft weiter unter dem Namen „S. Steins Witwe“.

Siegfried lernte seine zukünftige Frau Auguste Courant auf einer seiner Handelsreisen nach Lublinitz (heute: Lubliniec) kennen. Sie war zu diesem Zeitpunkt erst 9 Jahre alt. Die frühesten Briefe, die er ihr schrieb, stammen aus dieser Zeit. In späteren Briefen finden sich immer wieder Anspielungen auf die Ehe, die zeigen, wie sehr sie gewünscht wurde und wie verliebt Siegfried war.

Die Hochzeit fand am 2. August 1871 statt, Siegfried war damals achtundzwanzig und Auguste einundzwanzig Jahre alt. Das erfahren wir aus den Memoiren von Julie, Siegfrieds Schwester. Eine jüdische Hochzeitszeremonie wird unter der Chuppa vollzogen, die das neue Zuhause des Brautpaares symbolisiert. Die Chuppa steht nach aschkenasischer Tradition außerhalb der Synagoge, kann aber auch im Inneren aufgestellt werden. Die Zeremonie geschah in der Synagoge von Lublinitz, während für das Hochzeitsfest die Villa Nova vorgesehen war, ein Haus mit Garten, das den Eltern von Auguste gehörte und mit Bankettsälen, einer Kegelbahn und Billard eingerichtet war, wo Empfänge und Aufführungen stattfanden. In der Familie der Braut gab es viele junge Leute, so dass die Hochzeit – wie Julie sich erinnert – zu einem lebhaften und lustigen Fest wurde.

Nach ihrer Heirat zog das junge Paar nach Gleiwitz, wo ihre ersten Kinder geboren wurden. Nach zehn Jahren, um 1881/1882, und nach der Geburt ihres siebten Kindes, zogen sie nach Lublinitz. Dort gründete Siegfried ein eigenes Unternehmen für den Handel mit Holz, Baumaterialien und Kohle. Die Gründe für den Weggang aus Gleiwitz und die Übersiedlung nach Lublinitz werden von Edith Stein in ihren Memoiren genannt. Samuels Frau, eine Witwe, verstand nicht viel vom Geschäft. Sie verließ sich auf einen Buchhalter, der sie betrog, doch sie ließ sich nicht helfen. Dies war der Hauptgrund, warum Siegfried und seine Frau beschlossen, nach Lublinitz, Augustes Heimatstadt, zu ziehen, um mit Hilfe von Augustes Eltern ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Die Zeit in Lublinitz waren keine einfachen Jahre. Siegfrieds Familie wohnte zunächst in „Josephs Haus“ (dem alten Postamt). Im Jahr 1882 eröffnete Siegfried ein Depot für Holz, Baumaterial und Kohle. Im Jahr 1884 zog die Familie in die bereits erwähnte Villa Nova mit einem großen Garten, in dem Auguste Gemüse anbauen und Obstbäume pflanzen konnte. Zur gleichen Zeit kaufte Siegfried einen Kohlenhof in der Nähe des Bahnhofs in Lublinitz, und 1889 erwarb er das Recht, im Forstbezirk von Graf Stolberg Holz zu schlagen. Nur mit Hilfe seiner Schwiegereltern konnten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Von ihren Kindern starben hier der kleine Ernst, der besonders geliebt und noch in Gleiwitz geboren wurde, und Richard, der in Lublinitz zur Welt kam. Die Familie begrub beide auf dem jüdischen Friedhof in Lublinitz.

Nach neun schwierigen Jahren beschlossen Siegfried und Auguste, dass sie in Lublinitz nicht bleiben konnten. Sie entschieden, nach Breslau zu ziehen, nicht nur in der Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Bedingungen, sondern auch, um ihren heranwachsenden Kindern den Zugang zu den Schulen zu erleichtern. Am 10. Januar 1890 inserierte Siegfried im „Lublinitzer Kreisblatt“ seine Absicht, den Holz- und Kohlenhof samt Viehbestand und Fuhrwerk zu verkaufen, und schon zu Ostern desselben Jahres, kurz nach der Geburt des zehnten Kindes Erna, das zum Zeitpunkt des Umzugs erst sechs Wochen alt war, zog die ganze Familie nach Breslau.

Zunächst mieteten sie eine kleine Wohnung in der Kohlenstraße (heute: ul. Dubois)  wo am 12. Oktober 1891 ihre jüngste Tochter Edith geboren wurde. Siegfried pachtete einen Lagerplatz in der Nähe des Hauses mit der Absicht, ein neues Holzgeschäft zu eröffnen. Auch hier waren die Anfänge nicht leicht, da sich das neue Unternehmen nicht so schnell entwickelte, wie Siegfried es sich gewünscht hatte.

Siegfried und seine Familie besuchten als assimilierte preußische Bürger, die der Religion ihrer Väter verbunden blieben, die Neue Synagoge, die das Zentrum des liberalen Judentums war, nicht jedoch die Synagoge zum Weißen Storch, die den konservativen Juden überlassen blieb.

Siegfried erlebte den Aufschwung seines Unternehmens nicht mehr, er starb am 10. Juli 1893, nur drei Jahre nach seinem Umzug nach Breslau. An jenem Tag unternahm er eine Geschäftsreise zur Besichtigung eines Waldes, den er kaufen wollte. Es war ein heißer Tag, auf seinem Rückweg hatte er die Bahn verpasst und er entschied sich zu laufen. Ein Briefträger, der denselben Weg kam, sah ihn von weitem im Gras liegen, dachte aber, er würde sich ausruhen. Erst als er Stunden zurückkehrte und Siegfried an derselben Stelle sah, schaute er nach und fand er ihn bereits tot vor. Dies geschah zwischen Frauenwaldau und Goschütz (Goszyce). In der Nähe befand sich ein Sägewerk, in dem Siegfried frisch gefällte Bäume zu Brettern verarbeitet ließ. Auguste wurde benachrichtigt und sie brachte den Leichnam nach Breslau. Als Todesursache nahm man einen Hitzschlag an.

Er wurde auf dem Friedhof Lohestraße (heute: ul. Ślężna) beigesetzt und sein Grabstein, den Edith oft mit ihrer Mutter besuchte, trägt die Inschrift: „Hier ruht in Gott unser geliebter, lieber, unvergesslicher Ehemann und Vater Siegfried Stein, geb. 11. September 1844, gest. 10. Juli 1893 – Ruhe in Frieden“.

Bibliografie:

Susanne Batzdorff, Ciocia Edyta. Żydowskie dziedzictwo katolickiej świętej, Poznań 2011.

Święta Teresa Benedykta od Krzyża Edyta Stein, Dzieje pewnej rodziny żydowskiej oraz inne zapiski autobiograficzne, Kraków 2005.

Paweł Pachciarek, Zapomniani z rodzinnej Wielowsi. Siegfried Stein, Piastów 2020.